das pythagoräische Komma

Peter Clementsen
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Zur Frage der verschiedenen wohltemperierten Stimmungen

Harmonische Grundlagen

Dass sich ein Instrument mit fest gelegten Tönen, z. B. ein Klavier, nicht rein stimmen lässt, liegt daran, dass die harmonischen Naturgesetze so etwas nicht zulassen: Zum Beispiel ist ein Intervall dann als Oktave zu hören, wenn die Schwingungszahl (Frequenz) sich verdoppelt (Faktor 2), eine Quinte entsteht durch den Faktor 1,5. Aus lauter Faktoren 1,5 entsteht aber nie derselbe Faktor wie aus mehreren Faktoren 2:

1,5 → 2,25 → 3,375 → 5,0625 → 7,59375 → 11,390625 usw.
→ Die Zahlen werden hinter dem Komma immer länger.

2 → 4 → 8 → 16 → 32 → 64 usw.
→ Es bleiben ganze Zahlen.

Also reicht schon der Wunsch nach Oktaven und Quinten in reiner Stimmung, um in Schwierigkeiten zu kommen, denn es kann aus mehreren Quinten nie eine Oktave entstehen, denn: Nach zwölf Quinten aufwärts landet man bei der 7. Oktave:
C → G → D → A → E → H → Fis → Cis → Gis → Dis → Ais → F → C
Dieses C ist das C sieben Oktaven höher.

Zwölf mal den Faktor 1,5 zu nehmen, ergibt einen Faktor von 129,746…
Sieben Oktaven, also sieben mal den Faktor 2 zu nehmen, ergibt aber nur 128. Das ist ein Unterschied von mehr als 1,3%.

Also passen Quinten und Oktaven nicht zusammen. Dies sind aber zwei Intervalle, die unsere Art von Musik braucht (was an unserem Gefühl von Disharmonie liegt, wenn der Faktor sich nicht als einfacher Bruch darstellen lässt). Außerdem passt die Oktave auch nicht mit anderen Intervallen (Quarten, Terzen, Sekunden, Sexten, Septimen) zusammen, aus dem gleichen Grund, was hier nicht in Zahlen gezeigt wird.

Das Problem der Klavierstimmer
Bei der Stimmung von Klavieren und anderen Instrumenten mit festen Tönen (also auch Orgel, Cembalo, Flöte usw.) müssen jedenfalls entweder alle Oktaven größer oder einige Quinten kleiner gestimmt werden. Das kleinere Übel sind die zu kleinen Quinten.

Aus der gleichstufigen Stimmung folgt außerdem (und das gilt auch für alle nicht gleichstufigen Stimmungen), dass die großen Terzen („Dur-Terzen“) etwas größer und die kleinen Terzen etwas kleiner gestimmt werden müssen: anstelle des Verhältnisses 5:4 (= 1,25) haben die großen Terzen das Verhältnis 1,25991… und sind damit um 0,8% zu groß –  die kleinen Terzen („Moll-Terzen“) sind zu klein: anstelle 1,2 (6:5) ist das Verhältnis 1,1892… und damit um 0,9% zu klein. Diese Unreinheit (etwa 10 Schwebungen pro Sekunde) stört viele Musiker, ist aber letztlich unvermeidbar, damit kleine und große Terz einen Halbton auseinander liegen.

Bei der heute meistens gebrauchten Stimmung (oft „wohltemperierten“ genannt, die richtige Bezeichnung ist „gleichstufig“) gibt es gar keine reinen Quinten, nur reine Oktaven. Alle Quinten sind um den gleichen Prozentsatz unrein gestimmt (etwa 0,1%), die Terzen sind in der gleichstufigen Stimmung sogar knapp 1% unrein gestimmt (s. o.).

Früher fand man alle Zusammenklänge außer der Quint als hässlich („dissonant“). Was wir heute eher langweilig finden, war früher das einzig Erträgliche. So ändert sich das ästhetische Empfinden.

Wenn ein Intervall nicht rein gestimmt ist, hört der Fachmann Schwebungen, der Laie findet es nur merkwürdig, es klingt verstimmt –  besonders wenn es zu sehr unrein ist. Die Oktave, die Quinte und die Prim sind dabei sehr empfindlich.

Die Quinten sind beim gleichstufig gestimmten Klavier nur etwas unrein gestimmt (ca. 0,1%), so dass man es nur bemerkt, wenn man drauf achtet und ein geübtes Ohr hat.

Dadurch, dass heutzutage bei uns alle Instrumente gleichstufig gestimmt sind, haben wir uns daran gewöhnt. Ein geübter Musiker (z. B. ein guter Geiger, der natürlich reine Quinten spielen kann) hört den Unterschied.

Auch das ungeübte Ohr hört natürlich den Unterschied, der Mensch bemerkt ihn nur nicht. Unbemerkte Wahrnehmungen sind ein interessantes Thema für philosophische Gespräche. Dass es sie gibt, erkennt man schon daran, dass die Werbung damit arbeitet.