Klavierstimmung

Peter Clementsen
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Zur Kunst des Klavierstimmens

Bei der Stimmung eines Klavieres geht es um drei Aufgaben:

  • Weil jeder Ton von drei Saiten erzeugt wird (nicht nur wegen der Lautstärke, aber das ist ein Thema für sich), müssen deren Töne genau gleich sein.
  • Die Oktaven müssen genau zusammen passen: Wenn das Schlüssel-C 256 Hertz hat, muss das C eine Oktave tiefer 128 Hertz, das C eine Oktave höher 512 Hertz haben. Ganz oben und ganz unten stimmt das allerdings nicht (siehe Abschnitt „Zur Streckung im nächsten Kapitel“).
  • Die wichtigen („konsonanten“) Intervalle (Quinte, Terz usw.) müssen einen schönen Zusammenklang ergeben. Das ist der schwierige Teil der Stimmung. Denn würden die kleine und die große Terz exakt gestimmt werden, dann lägen sie nicht einen Halbton auseinander, sondern nur gut die Hälfte davon. Das ginge also nur bei einzelnen Terzen, nie bei allen. Bei den anderen Intervallen ist es zwar weniger stark, aber kein Intervall außer der Oktave kann rein gestimmt werden. Man muss also Kompromisse machen, besonders, wenn man nicht nur immer in C-Dur spielen will. Das nennt sich „Temperatur“ und jeder Kompromiss, der in jeder Tonart nett klingt, nennt sich „wohltemperiert“.

Heutzutage wird meistens gleichstufig gestimmt, alle Halbtonschritte sind also genau gleich groß. So klar, wie es scheint, ist das nicht, aber davon mehr unter „Zur Frage der verschiedenen wohltemperierten Stimmungen“.

Der Klavierstimmer hat also mehrere Aufgaben, was die genauen Tonhöhen angeht. Außerdem soll die Stimmung möglichst lange halten, was sich mit viel Erfahrung und einigen Tricks bei den meisten Klavieren machen lässt, auch abhängig von den Ansprüchen und der Hörgenauigkeit der Nutzer. Manche lassen ihr Klavier einmal jährlich stimmen, manche zweimal, viele wissen nur sehr ungefähr, wann ihr Klavier zuletzt gestimmt wurde. Sie warten, bis es sie stört oder ein Besucher sie darauf aufmerksam macht.

Nicht zuletzt lässt sich beim Klavier auch der Klangcharakter einstellen, in Grenzen natürlich. Ein einfaches Klavier wird nie den Klang eines schönen Bösendorfer- oder gar Blüthner-Flügels erreichen. Aber die Filze der Hämmer, die gegen die Saiten schlagen, sind manchmal zu hart, oft aber zu weich (altersbedingt), was dem Klang nicht gut tut. Oft kommen dann noch Riefen dazu, die durch die Saiten in den Filz gedrückt wurden. Dadurch wird die Saite schon beim Anschlag gebremst und kann nicht mehr so schön klingen, wie es das Klavier als Ganzes könnte. Diese Feinarbeiten können nach Absprache mit dem Kunden für höheren Klanggenuss sorgen.

Nun zur Umsetzung: Jedes Klavier reagiert anders auf die Kraft des Stimmhammers. Manche Stimmnägel lassen sich leicht drehen, andere neigen sich etwas, bevor sie sich zu einer Drehung bequemen – was dazu führt, dass beim Nachlassen der Kraft der Nagel wieder seine Lage ändert; manche Stimmnägel drehen sich beim Loslassen fast unmerklich, aber hörbar zurück; bei manchen Klavieren sind die Schwebungen deutlich zu hören, manchmal verschwinden sie fast unter anderen Schwebungen, die im Hintergrund des Klavieres erklingen. Es gibt noch weitere Charaktermerkmale und es dauert erfahrungsgemäß etwa eine halbe Stunde, bis wir uns verstehen (das Klavier und ich).

Klavier-Saiten, die längere Zeit sich selbst überlassen blieben, verändern ihre mikrokristalline Struktur im Stahl. Werden sie dann wieder neuer Spannung ausgesetzt, verändert sich anschließend diese Struktur und der Stahl gibt nach: der Ton sinkt innerhalb von einigen Tagen wieder minimal. Genau genommen gehört zu jeder Stimmung darum eine Nachstimmung, bei der diese „Entspannungen„ korrigiert werden, wo sie zu hörbaren Schwebungen führen. Erfahrungsgemäß ist das bei 5 bis 30 Saiten der Fall, die Nachstimmung ist Teil der Stimmung.

Tuner, also Stimmgeräte, können eine Hilfe sein, um sich zu orientieren, ob die Quinte zu groß oder zu klein ist. Eine um 2 Cent zu kleine Quinte (wie bei der gleichstufigen Stimmung) lässt sich mit einem Tuner aber gar nicht genau ablesen. Entscheiden tut letztlich das Ohr. Die Gefahr bei der Nutzung des Tuners ist, dass man sich auf ihn verlässt und nicht mehr so genau hinhört. Das merkt man am Ende des Quintenzirkels und man schummelt dann alles so ungefähr hin und hofft, dass es gut klingt.

Für die ungleichstufigen Stimmungen kann der Tuner eine gute Unterstützung sein: 6 rein gestimmte aufsteigende Quinten in Folge ergeben einen Ton, der im mittleren Bereich um 3 Hertz höher liegt als der entsprechende Ton bei gleichstufiger Stimmung. Das lässt sich mit einem guten Tuner überprüfen. Die folgenden 6 unreinen Quinten müssen diese 3 Hertz wieder ausgleichen. Gute Tuner haben mehrere verschiedene Stimmungen einprogrammiert. Daran habe ich mich aber noch nie orientiert, kann dazu also nichts sagen. Ich empfehle “gstrings“ für Android.

Mit Tonanalysatoren, die in der Lage sind, die Teiltöne einzelner Saiten zu messen (bzw. zu berechnen), habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Vielleicht liegt das am Alter meines Klavieres, vielleicht wird aber auch mehr versprochen als gehalten werden kann: Aus der Messung einiger Saiten soll ein Modell der Inharmonizitäten des ganzen Klavieres konstruiert werden, so dass die nötigen Streckungen optimal vorgeschlagen werden sollen. (Inharmonizitäten sind Abweichungen der Saiten von der idealen Saite mit genau ganzzahligen Obertönen.) Bei meinem Klavier klappt das allerdings nicht einmal bei den Oktaven. Und wie gesagt: Letztlich entscheidet nicht das Messgerät, ob eine Klavierstimmung gut klingt.